"Bleibt
Alles Anders" hieß eine von Herbert Grönemeyer im 1998 erschienene
CD und im Titelsong heißt es unter anderem "Genug ist zu wenig, oder
es wird so wie es war". Genug ist zu wenig scheint auch das
Veränderungs-Motto für die Finanzdienstleistungsbranche zu sein.
Auszuschließen ist dabei nur, dass es jemals wieder so wird wie es
war. Die Frage, die sich vielen angesichts stetig steigender
Regulierung stellt, ist nur, ob "Anders" tatsächlich auch "Besser"
sein wird.
Was war die
Welt früher so einfach. Das Sparkonto mit gesetzlicher
Kündigungsfrist wurde abgeschafft und statt dessen etablierte sich
zusehends der Geldmarktfonds als Cash-Konto. Wer etwas mehr wollte,
der kaufte Pfandbriefe und Kommunalobligationen ("Das Huhn, das
goldene Eier legt"). Offene Immobilienfonds waren grundsolide - und
damit für Viele das ertragreichere Cash-Konto. Und wer mit ein paar
Schwankungen leben konnte, dem brachten Aktienfonds grundsätzlich
10% Wertzuwachs pro Jahr. Und wem die Schwankungen des Aktienmarktes
nicht behagten, der konnte mit Staatsanleihen ganz sicher kein Geld
verlieren. Und für den, der in Aktien und Anleihen investieren
wollte, gab es bereits Mischfonds, die phantasielos 50% Aktien und
50% Renten mischten (als ob ein Anleger dies nicht selber könnte).
Was ist davon geblieben? Nichts, sieht man mal davon ab, dass das
Sparkonto mit gesetzlicher Kündigungsfrist immer noch abgeschafft
ist.
1987 - wer
erinnert sich noch - gab es einen Oktober-Crash. Der Dow Jones fiel
innerhalb eines Tages um 508 Punkte. Klar, dass es sich nur um einen
Jahrhundert-Crash handeln konnte, wenngleich es doch in der Folge
des Crashs vom 24. Oktober 1929 viel schlimmer kam (damals hätte der
Dow Jones allerdings nicht um 508 Punkte fallen können, weil er
seinerzeit längst nicht so hoch notierte). Es dauerte genau 15
Monate, ehe der Dow Jones mit 2.247 Punkten sein Niveau am Tag vor
dem Crash wieder erreicht hatte. Der "DWS Vermögensbildungsfonds I"
hatte in der Spitze etwas mehr als 25% eingebüßt, die ebenfalls
schnell wieder aufgeholt waren.
Da es sich
ja um einen Jahrhundert-Crash gehandelt hatte, war eigentlich klar,
dass man nun mit solchen lästigen Ereignissen für ein Jahrhundert
verschont bleiben musste. Allerdings dauerte dieses Jahrhundert nur
zwölfeinhalb Jahre und wir segelten in eine Krise, bei der es
doppelt so lange dauert, den Tiefstpunkt zu erreichen, wie es zuvor
gedauert hatte, den Rückschlag wieder aufzuholen. Eine durchaus
ernst zu nehmende neue Erkenntnis. Der "DWS Vermögensbildungsfonds
I" verlor in der Spitze folgerichtig auch das Doppelte wie in der
erst kürzlich erlebten Jahrhundertkrise. Finanzdienstleister hätten
gut daran getan, die gewonnenen Erkenntnisse beratungstechnisch
umzusetzen. Es hätte klar sein müssen, dass auch schwarze Schwäne
durchaus in der Lage sind, sich durch Reproduktion zu vermehren
(manch Einer fragt sich heutzutage bereits verzweifelt, ob die weißen Schwäne
bereits vom Aussterben bedroht sind). Und so dauerte es bis zur
nächsten Krise - nun aber definitiv eine Jahrhundertkrise - nur noch
knapp
viereinhalb Jahre.
Wir haben
gelernt, dass Geldmarktfonds durchaus 35% verlieren können (wie
bspw. der "Activest Euro Geldmarkt Plus", der heute unter "Pioneer"
firmiert). Wir mussten einsehen, dass Pfandbriefe nicht nur goldene
sondern auch faule Eier legen können. Der Mythos vom grundsoliden
offenen Immobilienfonds als Fels in der Brandung der unsicheren
Alterversorgung wurde entzaubert und darüber, dass Aktienfonds auf
lange Sicht selbstverständlich 10% pro Jahr erwirtschaften, würde
mancher Anleger, der auch heute noch mit Themen- und Branchenfonds
mehr als 50% unter dem Höchstkurs (oft der Emissionskurs) des Jahres
2000 liegt, gerne mehr wissen wollen. Und nun steht mit dem
EU-Gipfel von Ende Oktober auch das Insolvenzverfahren für Staaten
auf der Tagesordnung. Zinszahlungen aussetzen, Rückzahlungstermine
nach hinten zu schieben oder den Nennwert der Anleihen herabsetzen -
alles keine Tabus mehr.
Anleger
können dabei wohl künftig ganz entspannt sein. Läuft es gut, so ist
alles in Ordnung. Doch läuft irgendeine Anlage aus dem Ruder, so
kann man ja den Berater dafür in Regress nehmen, weil er vor vier
Jahren mitnichten ins Beratungsprotokoll geschrieben hat, dass der
empfohlene Geldmarktfonds 35% an Wert verlieren könnte. Auch der
Hinweis, dass man ggfs. offene Immobilienfonds nur noch über die
Börse mit 30% Abschlag auf den von der Gesellschaft mitgeteilten
Nettoinventarwert verkaufen könnte, haben alle Finanzberater
sträflicherweise über Jahre nicht protokolliert. Auch dass
ausgerechnet Lehman Brothers, obwohl mit einem mindestens genau so
guten Rating versehen wie viele andere - teilweise sogar aus eigener
Kraft überlebende - Banken, über die Klinge springen muss, hätte
doch selbstverständlich als Risikohinweis ins Protokoll gehört. Und angesichts der
vielen Marktteilnehmer, die ja von vorneherein vom Madoff-Betrug
wussten (es nur leider erst nach Auffliegen des Betrugs
mitteilten), war klar, dass ins Beratungsprotokoll der Hinweis auf
die hohe Wahrscheinlichkeit einer nur betrügerisch vorgetäuschten Performance
gehört hätte.
Erste
Finanzdienstleister sind übrigens bereits in allen gerade
aufgeführten Fällen zu Schadenersatz verurteilt worden, während -
von Madoff selbst einmal abgesehen - die Verantwortlichen auf der
Anbieterseite bislang unbehelligt blieben. Das Schlimme dabei: Läuft
ein breit diversifiziertes Anlageportfolio insgesamt gut, so
interessiert das gar nicht, solange der Finanzdienstleister nicht
mitprotokolliert, dass gerade die Streuung für den Ausgleich unter
den verschiedenen Anlagebausteinen, die sich teilweise enttäuschend,
glücklicherweise aber teilweise auch oberhalb der Erwartungen
entwickeln können, sorgen soll.
Bringt
bspw. die Fondsgesellschaft - wie jüngst (wenngleich bei einer
Versicherung) geschehen - folgende Meldung "Der Anteil an
Rentenpapieren ist im Vergleich dazu mit 36% gering. Aktuell sind im
Fonds unter 4% in irische Staatsanleihen investiert.", dann wäre es
nicht klug, dem Kunden mit dem beruhigenden Grundton der Publikation
der Gesellschaft zu melden, dass praktisch keine Probleme mit
irischen Staatsanleihen bestehen. Vielmehr wäre es angebracht,
darauf hinzuweisen, dass der Fonds stark überproportional in irische
Staatsanleihen (die doch deutlich mehr als ein Neuntel - 4%-Punkte
von 36%-Punkten - der weltweit ausgegebenen Staatsanleihen
ausmachen) investiert und deshalb aktuell insoweit recht risikoreich
aufgestellt ist.
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So
sollte der Berater vielleicht auch wissen, dass nach der
Postbank-Übernahme Einlagen-Kunden zu der Gruppe der Anleger
gehören, die der Deutschen Bank in der Summe 224 Milliarden
Euro zur Verfügung gestellt haben, was der Bank insoweit den
Gang an den Kapitalmarkt erspart. Faktisch ist natürlich die
Einlage - wie eine Anleihe - nichts anderes als ein Kredit
an die Bank. Der Finanzberater der Zukunft hat natürlich
im Rahmen einer Due Dilligence die Bonität des
Einlagen-Sicherungsfonds der Banken geprüft . |
Diente
bislang das Beratungsprotokoll der Absicherung von zivilrechtlichen
Ansprüchen, so wird es wohl künftig auch aufsichtsrechtlich
vorgeschrieben sein. Und was die Ausbildung des Finanzberaters
betrifft, so sieht die kommende Regulierung nach derzeitigem Stand
vor, dass jedermann - ohne die sonst übliche "Alte-Hasen-Regelung" -
künftig einen Abschluss mindestens auf dem Niveau des
IHK-Abschlusses "Fachkaufmann für Finanzdienstleistungen"
vorzuweisen hat. Das mag für den einen oder anderen älteren
Finanzdienstleister etwas mühsam sein und wird vielleicht manchen -
sofern er sich dies finanziell leisten kann
- auch dazu bewegen, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Eine
Alternative wäre nach Stand des heute bekannt gewordenen
Gesetzesentwurfs, sich einem der großen Strukturvertriebe
anzuschließen, weil hier "eine angemessene Zahl" von Beschäftigten
eines Antragsstellers Sachkunde nachweist, die wiederum Vermittler
und Berater beaufsichtigen.
Zur
Vermeidung von Missverständnissen: Wir haben überhaupt nichts gegen
gut ausgebildete Finanzberater einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Wer
jedoch seit 10 oder 20 Jahren in der Finanzberatung tätig ist und
seine Kunden über viele Jahre gewonnen (und behalten!) hat, der ist
durch alles, was er in dieser Zeit - anders als viele Banken -
zusammen mit seinen Kunden erlebt hat, sicherlich mindestens so gut
ausgebildet, wie die uns jüngst begegnete Kundenberaterin einer
großen Sparkasse, die mit gerade absolvierter Ausbildung nun
Allround-Kundenberatung vom Kleinkredit bis zur Investmentanlage und
von der Versicherung bis zum Bausparvertrag anbietet und auf die
Frage, wie sie das denn alles schaffen kann, antwortet, dass sie
dafür doch immerhin zwei Jahre lang ausgebildet worden sei. Aber
Banken sind ja bereits reguliert und hier gibt es offensichtlich -
zumindest auf der Ebene der Kundenberatung - keinen weiteren
Regulierungsbedarf.
Das könnte
einen auf die Idee bringen, dass das Haftungsdach, dessen Pflicht
für Finanzberater es im Vorfeld der kommenden Regulierung doch
gerade erst abzuwehren galt, vielleicht die einfachste Lösung für
alle diejenigen ist, die sich vor der Ausbildung drücken wollen und
sich mit Strukturvertrieb nicht anfreunden möchten.
Bislang ist nämlich nicht geregelt, dass jemand, der unter einem
Haftungsdach arbeitet, eine entsprechende Ausbildung nachweisen
muss. Wozu auch? Wer unter einem Haftungsdach arbeitet, der ist doch
nur ausführendes Organ. Als "Tied Agent" hat er das anzubieten, was
ihm sein Prinzipal vorschreibt. Dies kann die vom dem als
Haftungsdach fungierenden Finanzdienstleistungsinstitut angebotene
Vermögensverwaltung sein, es kann sich aber auch um eine sorgfältig
ausgewählte Liste von Fonds handeln. Auch Einzeltitel wie Aktien,
Anleihen oder Zertifikate können auf der Empfehlungsliste stehen.
Keineswegs
kann der Finanzberater unter einem Haftungsdach eigene Ideen zur
Vermögensanlage umsetzen, ohne dies vorher mit seinem Haftungsdach
abgestimmt zu haben. Verstärkt wird die BaFin diesen Aspekt prüfen
und feststellen, dass die Realität derzeit (noch) anders aussieht.
Sieht man sich die Homepages verschiedener im BaFin-Register
vertraglich gebundener Vermittler an, so stellt man schnell fest,
dass sich die Mehrzahl noch gar nicht darüber im Klaren ist, dass es
mit ihrer Unabhängigkeit vorbei ist. Werbeaussagen wie "Ich bin der
Architekt Ihres Vermögens" oder "... wird aus dem gesamten Angebot
frei von Interessenskonflikten von mir die beste
Fondszusammenstellung für Sie ausgesucht" decken sich nicht mit der
Maßgabe, dass ausschließlich auf Anweisung eines Haftungsdaches zu handeln ist.
Da man also
mit einem Haftungsdach - mit freundlicher Unterstützung durch die
BaFin - künftig zunehmend den Vertrieb steuern kann, wird die
Finanzberatung der Zukunft erstaunliche Wege beschreiten:
Unterstellen wir, dass es tatsächlich dabei bleibt, dass es in
punkto Ausbildung und Qualifikation keine "Alte-Hasen-Regelung"
geben wird, so bleiben nur die Alternativen, sich aus der
Finanzberatung zu verabschieden, bei einem Strukturvertieb
anzuheuern oder unter ein Haftungsdach
schlüpfen. Über eine weitere Möglichkeit werden sich die Versicherer
freuen, denn im Rahmen fondsgebundener Policen mit einem immer
breiteren Fondsspektrum kann natürlich die Investmentberatung statt
unter der künftigen Regulierung einfach - und ohne
Ausbildung/Qualifikation für "alte Hasen" - unter der Regulierung für
Versicherungsvermittler fortgeführt werden.
Was ist die
Konsequenz: Der gut ausgebildete und qualifizierte
Finanzdienstleister, der sich seine Unabhängigkeit im Interesse
einer guten Beratung seiner Kunden erhalten will, scheint derzeit
noch der Gescholtene. Doch schon in wenigen Jahren wird man
möglicherweise genau ihn als denjenigen charakterisieren, der am
besten beraten kann, denn je mehr sich die Position der
Haftungsdächer in punkto Weisungsbefugnis festigt, desto mehr werden
Haftungsdächer Ähnlichkeit mit den Banken entwickeln, die am eigenen
Bankschalter nach wie vor vor allem eigene Produkte oder solche, die
den Konzerninteressen dienen, anbieten.
Fazit: Der
Finanzberater der Zukunft ist gut ausgebildet und über einen
entsprechenden IHK-Abschluss und/oder ein Studium qualifiziert und
er agiert frei von Abhängigkeiten von einzelnen Produktanbietern
ausschließlich im Interesse seiner Mandanten. Indem er offenlegt,
wie viel er woran verdient, gerät die Diskussion um Provisions- oder
Honorarberatung in den Hintergrund, weil man endlich erkennen wird,
dass sich die Qualität der Beratung nicht durch das Vergütungsmodell
(sondern allenfalls durch die Verschleierung desselben) verbessert
oder verschlechtert.
Der von
einem Haftungsdach abhängige Berater hingegen ist gut
ausgebildet oder auch nicht, was (zumindest aufsichtsrechtlich)
nicht von Bedeutung ist, da ja abhängig von den Interessen eines
Haftungsdaches agiert wird, welches sich möglicherweise seine Vertriebskraft
anderweitig zusätzlich honorieren und damit die gebotene
Unabhängigkeit vermissen lässt. Aufgrund der immens hohen Kosten für
die Administration eines Haftungsdach-Platzes bleibt übrigens den
Haftungsdächern gar nichts anderes übrig als die Überlegung
anzustellen, wie ein Haftungsdach betriebswirtschaftlich seine
Kosten decken kann.
Es sieht
fast so
aus, als wäre die Regulierung der freien Finanzberater zukünftig die
aus Anlegersicht bessere Regulierung. Verkehrte Welt? Allemal, wobei
das Haftungsdach natürlich auch Vorteile haben kann, denn
während unter dem Haftungsdach - bei entsprechender Empfehlung durch
das Finanzdienstleistungsinstitut - Bundesanleihen angeboten werden
dürfen, ist die Beratung solch erlesener Anlageinstrumente dem
freien Finanzberater trotz seiner künftig nachgewiesenen
Qualifikation verwehrt. Spötter weisen an dieser Stelle gerne darauf
hin, dass sich hier manifestiert, dass Bundesanleihen möglicherweise
im Vergleich zu asiatischen Small Cap-Fonds das risikoreichere
Investment sind.
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